Fasching. Feiern. Trinken. Mehr als sonst. So eine alberne Perücke am Kopf mit grellgrünen Plastikhaaren. Darunter schwitzen. Außerdem juckt die Kopfhaut. Aber wenn ich die Perücke abnehme. Sieht sicher nicht gut aus. Plattgedrückt mein dünnes Haar, als hätt ich nicht mehr viel. Wie immer im Vorstadtbeisl. Große Runde am Fenst ert isch. Lisi hat dieselbe Perücke in grellrosa, noch schlimmer. Poldis Gesicht ist schwarz bemalt, was das heiß en soll, keine Ahnung. Irgendwer bezahlt immer wieder eine Runde. Wir hocken schon lange am Fenstertisch. Ich hocke schon am allerlängsten. Die einen gehen, andere kommen. Sogar aus dem Na chbarort. Die Chefin spendiert auch eine Runde. Zähle nicht mit bei den Achte rln. Aber Schnaps war es nicht so viel. Habe nicht vor mich abschleppen zu lasse n. Aber hab ich das jemals vor? Irgendwa nn wird man müde und will nicht mehr. Genug gefeiert, genug gelacht. Schon lange genug blöd geredet. Witze gehört, die entweder nicht lust ig sind oder die ich nicht kapiere. Ich torkle zum Klo, lasse mich auf die Brille plumpsen und lausche dem kräftigen Strahl, es geht alles durch mich hindurch, die Flüssigkeiten, die Wörter, die Minuten, alles. Das ist eh gut so. Lange halte ich die vier Streifen Klopapier, auswärts bin ich nicht sparsam, in der Hand, bis ich mich aufraffe. Aufstehen, Schwindel, wie soll ich jetzt nach Hau se kommen. Weit ist es nicht, trotzdem. Bin froh, dass ich meine Hose zubekomme, sie ist mir schon lange zu eng, ein Rock wäre besser gewesen für den Fasching heute. Das Hän dewaschen lasse ich aus, aber mein Gesicht nähert sich mit einem Ruck dem Spiegel über dem Waschbecken, wie sehe ich denn aus, die Schminke völlig verschmiert, dasselbe Grün wie die Haare, musste ich extra beim Bipa kaufen, brauch ich doch nie mehr. Auch egal, wie ich auss ehe, sind ja a lle besoffen, da schaut keiner mehr genau und ich will nix mehr von niemandem heute. Und von mir wohl auch niema nd. Zurück am
Tisch stehen die nächsten Fluchtachterln bereit. Wie viele kann man in sich hineinleeren, bis das Flüchten nicht mehr funktioniert. An unserem Tisch springen die Wortfetzen quer durcheinander. In dichtem Rauch. Ich halte mich mit den Augen an den alten vergilbten Plakaten an der holzvertäfelten Wand fest, schon tausendmal betrachtet und gelesen, so vertraut, dass ich grinsen muss. Früher gab es Konzerte im Beisl, da war noch die alte Chefin. Die neue braucht keine Konzerte, es gibt Bier und Wein und Bauerntoast und Schnaps. Auch Kaffee und manchmal sogar Kuchen. Heute gabs natürlich Krapfen, Faschingskrapfen, was haben die, was andere Krapfen nicht haben. Hab nur einen halben runtergebracht, sonst wär mir was hochgekommen, verträgt sich nicht so das süße Zeug mit dem Alkohol. Geht auch vorbei so ein Fasching. Neue Gäste haben sich hinzugesellt, so halb maskiert, halb betrunken. Alles halbe Sachen an diesem Tisch. Andere sind verschwunden, wer aller, muss ich jetzt nicht rausfinden. Einer sitzt neben mir und stellt sich als Rikki vor. Kaum geht man aufs Klo, ändert sich gleich etwas am Stammtisch, als würde es mich gar nichts angehen, wer da sitzt und wer nicht. Wer ist eigentlich vorher neben mir gesessen. Ich sage dem Rikki auch brav meinen Namen und erhebe das Glas, um mit ihm und allen anzustoßen. Was für eine Hetz dieser Fasching im Beisl. Mir gegenüber sitzt ein Cowboy und ein Polizist. Die Regina hat große Hasenohren aus Plüsch auf, das sieht so bescheuert aus, aber sie checkt es nicht. Ich seh auch bescheuert aus, ich check es aber. Nach dem Achter! werde ich aufbrechen, hoffentlich nicht erbrechen. Aber der Rikki lädt mich auf einen Schnaps ein, da kann man halt auch nicht nein sagen, der Obstler brennt mir runter, bleibt hoffentlich unten. Rikki erzählt vom Faschingsumzug, mit den Traktoren und Anhängern, er war Astronaut und sie haben eine Rakete gebaut, die ganz echt aussah. Ich schaue mir den Rikki genau an, so sieht doch kein Astronaut aus. Das sage ich nicht. Will ihn nicht beleidigen. Er spricht so schnell mit mir, ich komme nicht ganz mit, aber egal. Auf dem Mond wäre es vielleicht jetzt auch nicht schlecht. An ihn anlehnen wär schon gut, er lässt es geschehen, kriegt ja mit, wie bedient ich bin. Aber so richtig bequem ist es nicht, wenn ich mich auf seinen Schoß legen könnte, schlafen könnte. Rikki gibt mir mein Weinglas und ich richte mich noch einmal auf. Austrinken und heimgehen. Auf der Stelle. Sonst wird mir schlecht. Aber nicht austrinken kommt nicht in Frage. Rikki steht auf und geht zur Chefin an der Bar, bezahlt, auch was von mir noch offen ist. So einer ist der Rikki also, das lob ich mir. Hilft mir aufstehen und bietet mir seinen Arm zum Unterhaken ein. So geht das Ge hen viel leichter. Ich winke den Übrigen am Tisch nur müde zum Abschied zu. Mu ss ja nicht immer die letzte sein, die geht. Vielleicht hat es wer mitgekriegt, vielleicht auch
nicht. Dass Rikki ein Taxi gerufen hat, hab ich nicht mitgekriegt. Der hat wohl Geld, mehr als genug womöglich. Er hilft mir einzusteigen und setzt sich neben mich nach hinten, wieder fällt mein Kopf auf seine Schulter, das Sakko ist weich zu meiner Schulter. Rikki nimmt mich mit zu sich. Das erspart mir den Heimweg, für den hätte ich in diesem Zustand lange gebraucht. Heimgehen kann ich morgen auch noch. Wartet ja keiner auf mich, außer Ameisen in der Kü che. Endlich reiße ich mir die blöde Perücke vom Kopf, Rikki streichelt ihn mir. Er nimmt mich ja schon mit, jetzt ist es egal wie bescheuert ich aussehe. Nüchtern ist er ja selber nicht mehr. Die Hand auf meinem Kopf tut gut, mein Kopf ist wieder mein Kopf, ich bin wieder ich, wenn auch betrunken. Das war wieder mal ein Fasching, wir haben ja schon am frühen Nachmittag zu feiern begonnen. Wer weiß, wie spät es jetzt überhaupt ist. Bin wohl kurz eingenickt im Taxi, Rikki rüttelt mich an der Schulter, meine Füße und Arme sind so schwer, allein könnte ich mich gar nicht dahinschleppen, so schwer wie ein Zementsack fühl ich mich. Auch ein Zementsack hat Gefühle. Rikki stützt mich, sperrt ein Haustor auf und schiebt mich dann in einen kleinen Lift, der surrt mir laut in den Ohren, ich lehne mich an die dunkelrote Liftwand und Rikki beugt sich zu mir und gibt mir kleine Küsschen auf die Stirn, die Wangen, die Nase. Süß irgendwie. Wenn ich nicht so müde wäre. Wie weit fahren wir da bloß rauf? Und wie hält er meine Fahne aus? Ha be doch außer einer Bratwurst den ganzen Tag nichts gegessen. Doch, ein halber Krapfen war da noch. Wo ist die übrige Hälfte hingekommen oder steht sie noch vertrocknet auf einem Teller am Fensterbrett beim Fenstertisch. Im letzt en Stock hört das Liftsurren auf, ich hänge mich wieder bei Rikki ein, so schlimm ist es nicht mehr mit dem Torkeln. Er lehnt mich an die Wand, während er eine Wohnungstüre aufschließt, drei Schlösser oder was, es dauert ewig. Endlich drin nen, muss ich sofort pinkeln, zum Glück ist das Klo gleich beim Eingang, das Licht geht automatisch an und Grün blendet mich, rundherum alles in Grün gefliest, ein so kräftiges Grün. Ist so grün die Galle. Alles tiptop sauber hier. Wie kommt so ein Rikki in uns er Vorstadtbeisl? So gepflegt. Da liegt nix rum, da hat das Klopapier einen eigenen Ständer, die Zahnb ürste n in Porzellanbechern, die Glaswände der Dusche so durchsicht ig, wie gar nicht da. Ich lausche dem kräftigen Strahl, alles geht durch mich hindurch. Mein Klo am Gang. Hat keine Fliesen. Das Klopapier, wenn es überhaupt eine Rolle gibt, steht auf dem Spülkasten, der hat eine braune Farbe, wie alles im Klo, die Wände, die Decke, die Tür, kommt vom Ra uchen. Hier im grünen Bad und Klo wird nicht geraucht. Ich will mich hinlegen, ziehe noch am Klo hockend die enge Jea n s aus , e n d lich werde ich sie los, kann mir egal se in, welche Unte rh ose ich trage, ob die Beine frisch rasiert sind oder nicht,
hatte nicht vor, mich abschleppen zu lassen. Rikki hat sicher ein prächtiges weiches Bett, nicht so eine dünne Schaumstoffmatratze wie in meinem Loch. Hose, Jacke, Pulli, alles auf einen Haufen am Boden fallen lassen, wird das grüne Badezimmer schon aushalten. Macht eine Ausnahme. Als ich wankend den grünen Fliesenraum verlasse, kommt Rikki mir entgegen, mit zwei riesigen Gläsern mit einer braunen Flüssigkeit, beim Anstoßen klirren sie laut, ich hab Angst, dass mir das Ding aus der Hand fällt, vor lauter Vibration. Das Zeug brennt mir höllisch die Kehle hinunter in den Bauch und mir wird heiß. Rikki führt mich durch ein Wohnzimmer mit noblen Möbeln, Leder, schwarz, Glastisch, hypermodern, ein riesiges weißes Lampenmonster hängt von der Decke. Es surrt, die Jalousien fahren automatisch hinunter, Rikki hat einen Schalter an der Wand gedrückt, was der alles hat, was der wohl verdient. In meinem Loch hab ich ein Leintuch übers Fenster gehängt, das gibt's kein Surren, trotzdem kann keiner reinschauen und mir zuschauen in meinem kleinen Wohnungsloch. Im Schlafzimmer alles genauso schick und sauber und ordentlich, aber auch Rikki wird dreckige Unterhosen und verschwitzte T Shirts haben, ganz sicher. Eigentlich ist das hier nichts für mich, eigentlich, aber jetzt bin ich schon mal da. Falle in ein riesiges Doppelbett mit dunkellila Bettwäsche, wahrscheinlich echte Seide. Alles so weich und warm und angenehm. Ein netter Typ der Rikki. Zu müde zum sprechen, zu müde zum schauen. Will nur mehr schlafen. Rikki will noch nicht schlafen, zieht sich langsam die Hose aus, das Hemd, das T-Shirt darunter, die Socken und die Boxershorts. Nicht einmal nackte Männer anschauen schaffe ich heut noch. Ich lasse mich ausziehen, soll er doch machen. Er hebt meinen Oberkörper hoch, um mir das langärmlige Leibchen über den Kopf zu ziehen, den kann ich nur mit Mühe hochhalten, am liebsten würde er einfach abfallen von mein em Körper. Der BH ist ohne Verschluss und lässt sich auch über den Kopf ziehen. Ich mache es dem Rikki leicht. Lasse mich wieder auf den Rücken fallen, muss nur noch kurz das Becken heben, damit er mir den Slip herunterzieht, es ist keiner mit Spitzen, aber immerhin ein schwarzer. Über mir eine Holzdecke, helle Bretter mit dunklen Löchern, langsam wandere ich von einem Loch zum anderen, manche sehen aus wie Figuren, sie bewegen sich, manche sind zum Fürchten, manche wären zum Lachen, so viele Rillen im Holz, manche gerade, manche verschwommen, manche gehen im Kr e is, ich müsste näher an die Decke oder sie heranzoomen, um alles genau zu sehen. Rikki treibt es inzwischen mit mir. Mit mir ist nichts mehr los, was das betrifft. Was zu viel ist, ist zu viel. Ich halte mich an die Astlöcher, sie sind interessant und wenn ich sie betrachte, wird mir nicht schlecht. Ich vertiefe mich richtig in sie, so wie Rikki sich in mich, verschwinde in den Löchern, wie
Rikki in meinem. Nur wenn mein Körper zu heftig geruckelt wird, entgleiten mir die Löcher und Linien über mir. Von einem Brett zum anderen springe ich, während mein Kopf schon ans Betthaupt poltert. Das reicht. Offensichtlich auch dem Rikki. Er ist fertig. Fertig mit mir. Rutscht verschwitzt von mir ab und deckt uns zu. Da war kein Küssen, kein Streicheln, kein Brustgrapschen. Vorher nicht, jetzt nicht. Gut so. Nur im Lift war was. Ein Vorspiel mit Surren. Dort liegen noch ein paar Konfetti aus meinen Haaren am Boden.
Mir ist in der Früh schon wieder schlecht, neulich auch, da hab ich es nicht aufs Klo am Gang geschafft, sondern gleich ins Abwaschbecken gekotzt, auf das dreckige Geschirr, dann wurde mir erst recht schlecht, vom Geruch und wie die Nudeln vom Vortag aussahen . Das kann doch nicht sein. Hab doch gar nicht so viel getrunken in letzter Zeit. Es kann einfach nicht sein. Wovon bitte denn? Was weiß ich, wann ich die letzte Regel hatte. So etwas schreibe ich mir nicht auf. Geld für einen Test ausgeben, nein. Wird schon nix sein - beim Aufwachen, wird schon nix sein - beim Einschlafen. Es darf einfach nix sein. Manchmal bleibt die Regel eben aus, kann passieren, kann auch mir passieren, passiert mir gerade. Ich schlafe schlecht, ich heule leicht, und weiß nicht einmal warum. Im Beisl könnte ich jemanden fragen, aber das ist peinlich und was wird man mir schon raten, einen Test zu machen, zum Arzt zu gehen, will ich nicht, kann ich nicht, mach ich nicht. Ablenken ist schwer, wenn man nix zu tun hat. Und kein Geld hat. Sonst könnte ich ja Geld ausgeben, shoppen gehen, in der großen Einkaufsstraße im Zentrum, coole Sachen kaufen, teure Sachen. Für ein Kind bräuchte man auch Geld. Ob dieser Rikki damals überhaupt einen Orgasmus gehabt hat. Keine Erinnerung. Nur an die Astlöcher in der Decke, und dass es Fasching war. Und wie ich mich nächsten Tag aus der schicken Wohnung geschlichen habe, da war mir auch schlecht und meine Zunge so pelzig, dass ich sie mir am liebsten rausgerissen hätte. Da war ich doch nicht geschwängert, das hätte ich doch merken müss en. Hat der Typ denn keinen Gummi benutzt? Nein, obwohl er es mit einer wie mir treibt? Kann ich mir nicht vorstellen. So oder so seh ich ihn nie wieder. Wenn, dann dieser Rikki, es war auf jeden Fall das letzte Mal, dass ich mich abschleppen hab lassen, inzwischen war ich mit keinem im Bett, wed er betrunken noch nüchtern, hat sich nichts ergeben, war nicht gut drauf. Jetzt bin ich auch nicht gut drauf, mir kommt vor, der Bauch ist gewachsen, ist noch dicker als er ohnehin schon war, auch ohne Kind, was heißt da Kind, noch lange kein Kind da drinnen. Woher soll ich das Geld neh men, es wegmachen zu lassen. Ist ja nicht billig so eine
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Sache. Ich schaue im Internet nach, zum Glück hab ich Internet, deswegen nehme ich es immer ganz genau mit den Rechnungen für Strom und Telefon, weil ohne Internet wäre ich völlig aufgeschmissen, da würde ein Tag eine ganze Woche dauern, ohne Facebook und Youtube. Es gibt nicht viel Preisunterschiede bei Abtreibungen. Das geht sich mit der Notstandshilfe nicht aus. Da hab ich jetzt einen Sondernotstand, weil der Rikki damals einen Notstand hatte. Wer würde mir noch was leihen, keiner, den ich fragen könnte. Mein Bruder gibt mir schon lange nichts mehr. Ich schulde ihm zu viel. Die Eltern kennen mich nicht mehr. Meine Leute aus dem Beisl haben ja selber nicht genug. Der Rikki-Typ hätte wahrscheinlich das Geld und würd es mir geben, gern sogar, damit ich ihn in Ruhe lasse und nicht ein Kind anhänge, obwohl, er hat es ja mir angehängt. Zu dem geh ich nicht, kommt nicht in Frage, die Sache Rikki ist abgehakt, ein einmaliger Vorfall, war ja Fasching, da kann so was schon passieren, alles etwas aus dem Ruder gelaufen, etwas übertrieben. Aber eine Schwangerschaft, das wär jetzt kein Faschingsscherz, das wäre schon purer Ernst und pure Katastrophe. Wie das meiste in meinem Leben, meinem beschissenen.
So lange hab ich nichts getan, bis klar war: Jet zt kannst du gar nix mehr machen, jetzt sieht man es schon. Jeder sieht es, ob du willst oder nicht. Du kriegst ein Kind, du hast ein Kind im Bauch, das wird wachsen und irgendwann auf die Welt kommen wollen und dann hast du es, ob du willst oder nicht und dann musst du die Mutter sein, ob du willst oder nicht, weil es deines ist, weil du nix gemacht hast. Ich setze mich auf den Klappsessel neben der Abwasch und starre auf meinen Bauch, starre so la nge, bis er sich vielleicht zurückbildet, dorthin, wo er vor dem Rikkivorfall war, vor dem Fasching, er soll sich gefälligst hineinw ölben, nichts soll in ihm wachsen und gedeihen und größer werden. Ich nehme mir eine Zigarette aus der Packung am Fensterbrett und zünde sie mir an, das Rauchen lass ich mir von niemandem verbieten, meine Hand zittert und ich versuche nicht so tief wie sonst zu inhalieren. Als ob das was nützen würde. Hab ich nicht sowieso weniger geraucht in letzter Zeit, weil mir immer so schlecht war. Auch beim Alkohol hab ich mich zurückgehalten. Dafür hab ich umso mehr geschlafen, zehn Stunden jede Nacht, wie ein Stein, ein Stein, in dem was wächst. Oder vielleicht auch nichts wächst oder aufhört zu wachsen. Hört man oft, dass es dann doch nichts wird, soll häufig vorkommen. Ich schau im Internet nach Todgeburten , oft geht es da um Le ute, die unbedingt ein Kind wollen, aber es nicht schaffen. Ganz das Gegenteil von mir. Bei mir ist es gegangen, aber ich will nicht. Nützt mir aber nichts. Den Test kann ich mir jetzt
sparen. Ich gehe zum Frauenarzt. War zwar ewig nicht mehr dort, hat mir ja auch nie was gefehlt da unten, fehlt mir ja auch jetzt nichts, ganz im Gegenteil. Hätte Lust auf ein paar kühle Bier im Schanigarten vom Beisl, die letzten Tage waren richtig vorsommerlich. Einfach auf dem grünen Holzsessel hocken und schauen was sich so tut, auf der Straße, am Gehsteig gegenüber. Jemandem zuprosten, der blöd herschaut. Irgendwann setzt sich wer dazu, wer von meinen Leuten oder auch nicht, und der erste Schluck vom frischen Bier ist der beste. Dort ist es immer gut, alleine oder zu mehrt, das Bier lullt ein, eins nach dem andern, die Zeit vergeht dann so schön gleichmäßig, ganz anders als in meinem Loch. Aber ist halt auch nicht gratis, Beisl und Schanigarten sitzen, außer, wenn dir wer was spendiert.
Frisch geduscht tauche ich beim Arzt auf, bin nervös, sehr nervös, schon bei der Anmeldung, zum Glück bin ich zur Zeit versichert, die Sehalterfrau ist nett, mustert mich nicht, will trotzdem wissen, warum ich hier bin, Kontrolle, ganz leise, obwohl kein Mensch sonst da ist. Bin nervös, wegen dem Ausziehen und den gespreizten Be inen am Sessel, normalerweise habe ich mit beidem kein Problem. Das lange Warten in dem kleinen Warteraum mit Sesseln an der Wand und einem runden Tischehen in der Mitte voller Zeitschriftenstapel, macht mich noch nervöser. So eine Zeitschrift will ich sicher nicht anschauen. Die Wände sind voll beklebt mit Fotos von Babys, ganz frischen und verrunzelten, ich stehe nicht auf, um sie mir genauer anzusehen, verrenke mir den Hals vom Sessel aus. Und schwöre mir, falls es von mir ein Kind geben wird, wird es nicht mit so einem dämlichen Bild auf so einer dämlichen Wand in einem so dämlichen Wartezimmer hängen. Die klassische Dudeleimusik passt genau hierher, als sollte sie mich beruhigen, tut sie aber nicht. Würde am liebsten wieder abhauen, aber da wird mein Name aufgerufen, ich erschrecke, mein Rucksack fällt mir vom Schoß, weil ich so schnell aufstehe . Beim Handgeben merke ich, dass meine Hand feucht ist, wie peinlich. Als Ganzes bin ich plötzlich so peinlich, wie ich daherkom me, so eine Person will ein Kind in die Welt setzen, will sie ja gar nicht, die Peinlichkeit in Person, die ihr Leben nicht in den Griff kriegt, zu nichts so recht taugt, das hier ist nicht der Fenstertisch im Beisl, das ist die Ordination eines Frauenarztes, ich wundere mich, dass er keinen weißen Kitt el trägt, ist das nicht mehr üblich oder ist er gar kein echter Arzt. Ich setze mich auf den gepolsterten Stuhl an dem großen Holztisch und knackse mit den Fingergelenken, natürlich hört er es und es ist mir peinlich, wie immer, es ist mir peinlich, aber schon zu spät, wie immer sagte Vater: zuerst denke n, dann reden. So
ähnlich ist das jetzt auch. Eine Karteikarte gibt es noch von mir, war vor über zehn Jahren mal da, wegen der Pille. Hab ich nicht lang genommen, weil der Busen davon so weh tat. Sollen sich die Männer um die Sache kümmern. Da redet eine jetzt. Der Arzt meint, ich sollte schon regelmäßig kommen zu den Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen, er kann nicht richtig schimpfen, bin ja nicht seine Tochter . Ich lasse mich nicht maßregeln und sage, dass ich viele Jahre im Ausland war und dort Blabla. Er kritzelt was auf das Karteiblatt, wahrscheinlich, dass ich lüge. Was mich denn nun zu ihm führe, das bringt mich ins Stottern, weil die Regel nicht, nein und ich weiß auch nicht wann die letzte, vielleicht vor zwei oder drei Monaten.
Ich bin in der 18. Schwangerschaftswoche, so nennt man das. Seit über vier Monaten bin ich eine Schwangere. Ein Abbruch kommt nicht mehr in Frage. Ich bekomme: ein Ultraschallbild mit meinem Kind darauf, es sieht zumindest besser aus als die Fotos im Warteraum, einen Mutter-Kind-Pass, wohin geht die Reise mit dem, mein echter Pass ist schon lange abgelaufen, wozu auch einen neuen besorgen, ich komm doch nicht vom Fleck. Und ich kriege Telefonnummern, wo ich Unterstützung bekommen kann, das ist gut, vielleicht Geld, das mich unterstützen könnte, oder ich kann das Kind dann jemandem anderen geben, es gibt so viele, die eines wollen und bei denen es nicht klappt. Das mit dem Rauchen und Alkohol weiß ich selber, aber vieles andere, das der Arzt mir erzählt, sagt mir nichts, ich höre nicht mehr genau hin, erst am Schluss wieder, als er sagt, wann er mich zum nächsten Mal wiedersehen will. Mich wiedersehen wird der nicht, wiedersehen kann ich meine Leute im Beisl, meinen Bruder zu Weihnachten und das ist nicht fix, aber den Arzt, den brauch ich nicht mehr. Obwohl, der Haken ist der Pass, Geld gibt es nur, wenn man das alles so macht, wie verlangt. So etwas hasse ich. Muss ich mir noch überlegen. Beim Abschied ist mein Händedruck noch immer feucht, aber egal, ich habs hinter mir und will jetzt meine Ruhe, trotte heim mit meinem Bauch und meinem Kind und dem Bild vom Kind und dem gelben Pass. Ich solle mir auch schön langsam etwas wegen der Geburt überlegen, einen Platz in einem Spital suchen, Vorbereitungskurse und weiß der Teufel was. Nach dem Rikki hat der gar nicht gefragt, hätte er auch nicht wagen sollen, denn das geht ihn absolut nichts an, reicht schon, dass er mit seinem Gummihandschuh in mich hinein fährt und dort herumbohrt. Ich lege eine Hand auf meinen Bauch, er ist jetzt noch dicker als vor dem Arztbesuch, vielleicht weil er nun ein offizieller Bauch einer Schwangeren ist. Ich hätte nicht gedacht, dass schon so viel Zeit vergangen ist, was hab ich mir eigentlich dabei gedacht, dass ich so lange nichts unternehme, was denke ich mir eigentlich immer, wenn ich nichts unternehme. Rein gar
nichts, das ist der Haken. Und dann ist immer alles zu spät, dann ist die Frist vorbei, dann ist das Geld gestrichen, es ist immer das gleiche mit mir. Und jetzt hab ich die Bescherung, ein Kind im Bauch, das nur mir gehört. Außer ich gebe es jemandem anderen , es abgeben. Weil ich und eine Mutter. Lieber nicht, besser nicht, dem Kind zu Liebe, zu Liebe, was soll das denn heißen. Zu Liebe, auf Liebe, Liebe auf Liebe zu, mit der kann man mir sowieso gestohlen bleiben. Soll mir keiner mehr mit Liebe daherkommen. Ist doch alles nur Luft, nur Gerede, nix dahinter. Aber so ein Kind, da ist schon was dahinter , was Echtes, was Richtiges. Was Wahres vielleicht sogar. Es ist hinter meinem Nabel.
Mein Busen war nie der größte, aber jetzt ist er immerhin doppelt so groß, die Haut spannt, zu viel drinnen in den Säckchen, aber sieht gar nicht schlecht aus. In der Küche in meinem Wohnungsloch hängt über der Abwasch ein Spiegel, wenn ich mich nackt auf den Hocker davor stelle, kann ich meinen Bauch und meinen Busen sehen, beides echt groß und dick. Hoffentlich geht das alles wieder weg. Wieder normal ausschauen. Vollkommen unschwanger. Auch an den Beinen und Armen hab ich zugelegt, ich drücke meine Oberarme und Oberschenkel, da war doch früher nicht so viel zum drücken, da ist doch kein Kind drinnen. Im Beisl wissen es jetzt schon alle, war ja nicht zu überseh en, meine Leute und die Chefin haben sich sogar gefreut, irgendwie peinlich. Kann nicht so oft hingehen, weil zu viel Alkohol, nicht gut fürs Kind, und wenn es schon beschädigt auf die Welt kommt, dann nimmt es mir keiner ab. Trotzdem wurden gleich ein paar Runden ausgegeben auf die Ne uigkeit, die anderen können ja t rink en, so viel sie wollen, und auch rauchen, da frisst mich wieder der Neid, wie komm denn ich dazu, Dinge nicht mehr zu dürfen, die zu meinem Leben gehören, wie die Ziga rett e zum Kaffee, das Ketchup zum Schinken-Käse-Toast. Es ist ja nicht mehr so la nge, sagt die Lisi zu mir, hat die eine Ahnung vom Kinderkriegen, woher bitte. Sage ich nicht. Nach dem Vater wird gefragt. Gibt's nicht. Da wird nicht weiter gefragt. Vom Rikki-Vater braucht keiner zu erfahren, nicht mal meine Leute. Außer in Trainings hose und Röcke mit Gummizug pass ich nirgendwo mehr rein, allmählich eine Kugel. Sieht bescheuert aus, aber auch bei anderen, bei vielen anderen, dauernd kommen sie mir unter, am Weg zum Beisl oder zum Amt oder zum Supermarkt, überall treffe ich auf Schwangere, wo waren die früher bloß, mit kleinem, mittelgroßem oder riesigem Bauch, entweder Drillinge oder längst überfällig. Peinlich, wie wir uns dann anschauen, abschätzen, manche grinsen doof oder nicken auch noch, als würde man sich kenn en, als würde das Gesc hwängertwordensein
einen verbinden. Tut es nicht, nicht mit mir. Vorbereitungsgruppe kommt auch nicht in Frage. Wenn ich ein Kind kriege, kriege ich es einfach, Punkt. Bin schon mit ganz anderen Dingen fertig geworden. Ohne mich auszukennen. Internet hab ich ja auch, das hilft mir ja auch sonst immer, ist nicht immer gut gelaufen, aber auch nicht immer ganz beschissen, wird Zeit, dass es mal besser läuft. Kann man das jemandem schuldig sein, den es noch nicht gibt, den man gar nicht kennt?
Mit der Zeit werde ich kribbliger, es gibt einen Termin für das Kind, von dem keiner weiß, ob er stimmt. Während mein Bauch immer größer und größer wird, tut sich einiges im Land. Außerhalb meines Körpers, außerhalb meines Wohnungsloches. Politik ist nichts für mich, war noch nie was für mich. Müsste man zuerst denken und dann reden. Geht doch nur um Geld und Macht. Ganz oben gab es einen Wechsel nach den Wahlen, die Einen sind weg vom Fenster, die Neuen da und versprechen das Blaue vom Himmel, wie gehabt. Hab denen früher nicht getraut und glaub denen heute nicht. Die haben ein neues System eingeführt, ziemlich kompliziert, da wird jeder neu registriert, eingeschachtelt, die wissen sogar schon von meinem Kind im Bauch, das selber noch von gar nichts weiß. Angeblich wissen die alles von uns allen, auch die kleinste Kleinigkeit und alles wird bemessen und ausgewertet und kommt dann in die Akte. Wär schon spannend, meine Akte, aber die kann man nicht anschauen, hab ich extra gefragt, das letzte Mal am Amt, die ist streng geheim. Meine Akte, streng geheim. Die Leute werden eingeteilt, wo sie hingehören, zu den einen oder zu den anderen, je nachdem. Wonach eigentlich. Was weiß denn ich schon. Im Internet hab ich gelesen, dass es um plus und minus geht, um Menschen und Nicht-Menschen hat auch wer im Internet gesagt, was soll das heißen? Aber als Kindkriegerin hab ichs gut im neuen System, das bringt mir nämlich was, eine Ausnahme, dass mir mal etwas was bringt. Weil ich ein Kind kriege, bekomme ich mehr Geld vom Amt. Ganz richtig so, ist ja auch ein Haufen Arbeit mit einem Kind, macht sich nicht von alleine und alles wird teurer, aber mit Kind muss man was kaufen, da kann man nicht aus, wo soll man da sparen, ich besorg sowieso nur gebrauchtes Gewand, für das Kind erst recht, hat es ja nicht lange und selber keine Ahnung, wie es damit aussieht. Das mit dem Weggeben hab ich mir überlegt, ich schaffe das mit dem Rauchen und Trinken einschränken, gut sogar, spricht nichts dagegen, ein Kind zu haben, hab ja nix zu tun und wieder auf Jobsuche gehen, darauf kann ich verzichten, nimmt mich ja sowies o keiner und das Amt ist trotzd em lästig. Wenn dann das Kind da ist, ist höchstens das Kind lä sti g, das Amt zahlt mir regelmäßig Geld, damit
ich mit dem Kind über die Runden komme, wahrscheinlich sogar besser als ohne Kind, mit Notstand. Weil, ein Kind braucht ja nicht so viel, wenn es klein ist, trinkt meine Milch, Windelgutscheine gibt es auch beim Amt. Das mit dem Weggeben wäre mir auch viel zu kompliziert. Jetzt habe ich eben eine neue Aufgabe, man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen, sagt man doch. Sag ich jetzt auch. Hab die Untersuchungen für den gelben Pass gemacht, da steht schon einiges drinnen und das zweite Babybildchen vom Onkel Doktor hab ich auf das Küchenkastl geklebt, so sehe ich es immer, lieber wäre es mir bunt, so schwarz-weiß ist öd. Dass es ein Bub ist, hat der Doktor auch schon gesehen, ich habs nicht kapiert, wo er das mit seinem Ultraschallzeugs gesehen hat, gut, dann wird es ein Bub. Wundert mich nicht, so wie der manchmal strampelt und gegen meinen Bauch donnert, will er ein Loch schlagen oder mich einfach nur sekkieren. So ein kleines Ding da drinnen, aber solche Kräfte entwickeln. Kann ja schwer zurückhauen, weiß ja nicht, was ich da von ihm erwische. Kinder haut man sowieso nicht. Mit dem Bauchmonster schlafen ist blöd, geht nur Seitenlage, mag ich nicht, bleibt mir nix übrig, werds überstehen. Dauert nicht mehr lange, dann ist das einmal vorbei, dann kommt was ganz anderes, keine Ahnung, wie das werden wird. Aber es wird schon werden, sagen meine Leute im Beisl auch.
Mitten in der letzten Folge der zweiten Staffel rinnt es plötzlich an den Beinen runter . Erstarre. Der Ton von der Serie plötzlich ganz weit weg, das Bild verschwommen. Ich rapple mich hoch aus dem alten Couchsessel und sehe die Lacke am Teppich, klar, ich habe mich nicht angepinkelt, es geht los mit Kinderkriegen. Herzrasen, Hitze im Kopf. Das Fruchtwasser kann ruhig im Teppich versickern, der hat schon ganz andere Flecken ausgehalten. ln der Küche schenke ich mir ein Glas Rotwein ein, damit sich die zittrigen Hände beruhigen, kann ich jetzt gar nicht gebrauchen, es gibt eigentlich nichts zum Aufregen. Nur, dass ich noch nicht damit gerechnet habe, da sollten noch drei, fast vier Wochen vergehen. Fehlalarm vielleicht. Jetzt nicht mehr im Internet schauen. Sollte eigentlich liegen, fällt mir ein, wieder mal zu spät. Die Rettung rufen. Mir tut nix weh. Noch nicht. Zur Sicherheit nehme ich einen feuchten Waschlappen aus der Küche mit und hocke mich wieder in den Couchsessel, die Serie kann ich jetzt vergessen, hab keinen Nerv mehr. Starre in das dunkle Fensterloch, wo es noch immer keinen Vorhang gibt, das an der Vorhangstange befestigte Leintuch verdeckt einen Teil des Fensters, sollte man auch mal wieder waschen. Aber wer sollte mir schon hier zusehen wollen. Aber wenn das Kind da ist, könnte ich mir doch zur Feier der Geburt quasi einen
Vorhang zulegen, vielleicht einen Kindervorhang, mit Figuren drauf, Tieren oder eine Lokomotive, was wird dem Kind gefallen?
Ich war sicher, ich überlebe es nicht. Stunden über Stunden, ich wär fast eingegangen vor Schmerz, das kann sich niemand vorstellen, hätte ich mir selber niemals so arg vorgestellt. Andauernd hab ich auf die Uhr in der Kochnische geschaut, aber die Zeiger rührten sich irgendwann fast gar nicht mehr von der Stelle, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich schaff das nicht, ich schaff doch nie was, heulen, Rotz und Wasser, das Kind bitten, anschreien, komm raus, komm endlich raus, was muss ich dir versprechen, du kannst alles haben was du willst, viel mehr als einen Kindervorhang, nur bitte komm raus und lass mich schlafen, wollte doch die letzte Folge anschauen und dann schlafen, jetzt ist es vier Uhr früh und ich bin so hinüber, nicht zu vergleichen mit dem schlimmsten Vollrausch. Krabble halbnackt auf allen Vieren in meiner Zimmer-Küche Wohnung herum, kacke auf den Teppich wie ein altes krankes Tier, werfe mit einem Holzpantoffel nach der Küch enuhr, sie fällt herunter und tickt weiter, noch lauter als vorher, obwohl doch keine Zeit vergeht, ohnmächtig werd ich gleich werden und dann sterben wir beide, das Kind und ich. überall Blut in der Wohnung. Es zerreißt mich, ich heule laut, will nur, dass es aufhört, fange an zu schreien, ich schreie wie am Spieß, bei jeder Wehe tut es noch mehr weh, und balle die Fäuste, meine Fingernägel bohren sich in die Haut, den nassen Waschlappen lege ich mir an die Stirn, als ob mich jetzt noch was abkühlen könnte, dann sauge ich daran, bin am Verdursten, ich kann mir nichts mehr zum Trinken holen, keine Kraft mehr zum Aufstehen, so schnell kommen die Wehen hintereinander, ich werde von innen aufgespießt, schreie, wie am Spieß, bald kann ich auch das nicht mehr, meine Stimme nur mehr ein Krächzen, ganz schwach, wie ein Vogel. Ich schreie auch noch, als es laut an der Tür klopft, das Klopfen hämmert in meinem Kopf gemeinsam mit dem Ticken der Uhr, die Pausen zwischen den Wehen sind keine Pausen mehr, das End e vom einen Schmerz geht gleich in den nächste n über, wenn es nicht bald aufhört, wenn es noch immer schlimmer wird, überlebe ich es nicht, ich schleppe mich mehr liegend als kriechend zur Tür und öffne sie. Das halbe Haus steht davor. Nein, schreie ich, so laut ich kann, mit meiner letzten Kraft, will nicht, dass sie reinkommen und den Saustall sehen, wie es auss ieht bei der, wie ich aussehe, hab ja unten nichts mehr an, mit dem Nei n kommt eine Welle und ein Dru ck, der mich endgültig zerreißt, fortreißt, ich spüre noch ein Flutschen und lasse mich fallen. Zwi sc hen meinen Beinen rutscht etwas, ich kriege kaum Luft und schnaufe und schnaufe
und kann nicht mehr. Jemand kommt näher, nimmt das Etwas zwischen meinen Beinen und legt es mir auf den Bauch. Es ist plötzlich so still, wie unter ganz frischem dickem Schnee. Ich schließe die Augen, sanft fallen Schneeflocken auf mein Gesicht, das tut so gut, endlich. Ich werde getragen, von vielen, gehalten, überall hält man mich und auf mir liegt es, das Etwas aus meinem Bauch, das mich fast umgebracht hat, jetzt auf meinem Bauch, oder bin ich doch gestorben oder ist das Kind tot. Sie legen mich auf dem Bett ab. Jemand fuchtelt an mir und an dem Etwas herum, die Stille und der Schnee ist plötzlich fort, Geräusche rundherum und ein Schrei, das Kind schreit, das Kind hat geschrien, es reißt mir die Augen auf, lauter Blut und Schleim, das ganze Bett versaut. Das Etw as , ein Kind, der Bub, auf mir, hat geschrien, laut und deutlich. Ich zittere und greife nach dem winzigen Etwas, es ist so glitschig, dass ich es fast nicht greifen kann, ich ziehe es langsam höher zu mir, dann sehe ich den Kopf, die Augen, die Nase, den Mund, wieder die Augen, die Nase, den Mund, die Ohren, vor lauter Zittern kann ich mich nicht bewegen, nur schauen, es ist so zerknautscht, verrunzelt, das Gesicht geschwollen, rot, verschleimt. Da haben die Nachbarn was zu schauen und zu erzählen, ich sehe und höre sie nicht, ich schäme mich nicht. Nicht für mich, nicht für mein Kind. Es ist mein Kind. Ich habe es auf die Welt gebracht, ich ganz alleine. Die Tränen rinnen die ganze Zeit über meine Wangen, aber kein Schluchzen, kein Schlucken. Mir ist alles egal, noch nie war mir alles so egal. Obwohl mir schon oft alles sehr egal war. Ich kann mich nicht bewegen, will mich nicht bewegen, nur atmen, und das Kind atmet auch. Wir atmen zusammen. Rote Rettungsleute kommen gelaufen, trampeln in meine Wohnung, vertreiben die Nachbarn, reden dauernd mit mir, tätscheln meine Wangen, kramen in ihren Koffern. Haben alles dabei, was sie brauchen. Sollen wieder gehen, mich alleine lassen, mit dem Kind, bin nicht mehr alleine mit dem Kind, nie mehr. Aber sie bleiben, müssen mir viel erklären, die Na belschnur durchschneiden, das mit der Nachgeburt erledigen und dies und das. Alles über mich ergehen lassen, das Kind liegt auf mir, mit seinen Augen, Ohren, Mund und Nase, so winzige Händchen, alles viel zu klein an ihm. Wie groß ich ihm vorkommen muss, wie riesig, wie groß alles rundherum, sogar das kleine Wohnungsloch viel zu groß für dieses Kind, hat es doch so klein und gemütlich in mir drinnen gehabt. Und dann erst die großen Bäume im Park, das Hochhaus am Fluss. Wie riesig alles ist und wie winzig dieses Etwas. Wie hilflos. Gut, dass es mich hat. Muss gut auf aufpassen, was alles passieren kann, darf gar nicht dran denken. Ist mir schon genug passiert. Mus s jetzt anders laufen. Ich werde aufpassen, immer, großes Ehrenwort. Nichts wird ihm passieren. Für ihn, wird alles gut werden, großes Ehrenwort.
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